Fragmente
Von Dr. Joachim Kreibohm

Der Begriff des Fragments ist wesentlich für das Verständnis der Objekte von Antje Smollich. Fragmente meint hier das Spiel zwischen Teilgestalt und Gesamtgestalt, so sind die Arbeiten Fragmente und bilden dennoch ein Ganzes, sind Bruchsstücke und Einheit gleichermaßen. Das Fragmentarische ist Programmatik und durchzieht ihr gesamtes Werk wie ein Ariadnefaden. Für die 28jährige Künstlerin ist Malerei immer konkret wie illusionär, materiell wie immateriell. Die aktuellen Arbeiten können als konsequente Fortführung eigener malerischer Resultate gedeutet werden. Die Verdinglichung malerischer Vorgänge ist zum zentralen Thema geworden. Spanplatte, Plexiglasscheibe und Farbe sind das Material ihrer Wandobjekte. Auf einer Grundplatte werden Farbmassen, vornehmlich Acrylfarbe, mit Plexiglas bearbeitet, verquetscht und verzogen. Die Platte hat immer die Form eines Kreissegments, und die Scheiben wiederum sind Teilstücke der Grundplatte. Die Scheiben werden an einem der drei Eckpunkte so weit über die Platte hinweggeschoben, bis die Eckpunkte an der Seitenlänge der Grundplatte einrasten. Die Plexiplatte überlappt die Grundplatte, die mitgeführte Farbe fungiert zugleich als Haftmittel. Grundplatte und Scheibe werden fest miteinander verklebt. Die Objekte bewegen sich noch in der Zweidimensinalität, Bezugspunkt bleibt die Wand, sie fungiert als Träger. Der Umgang mit der Scheibe ist wesentlich für die Formbildung : Durch die Rotation mit der Scheibe entstehen Verschleifungen, durch Überlappungen können andere Formen zustande kommen. Die Scheibe wird in einem technischen wie ästhetischen Sinne Pinselersatz. Der Übergang vom festen Trägermaterial zur Transparenz der Acrylglasscheibe erscheint mehr oder weniger immateriell. Durch Schleifen der Scheibe werden unterschiedliche Stufen von Transparenz hergestellt - von opak bis diaphan. Durch vorherige Festlegung der Größenverhältnisse ensteht ein scheinbar rationales System.Gewisse Regelmäßigkeiten lassen erst die kleinen Differenzen, die sich aus dem Arbeitsprozess ergeben, sichtbar weden. Diese konzeptuellen und analytischen Momente werden bereits durch die Poesie der nuancierten Weißtöne gebrochen. Idee und Konzept sind keineswegs absolut. Die gegeneinander verschobenen Fragmente des Materials wie das Material selbst hinterlassen Spuren und dokumentieren Vorgänge. Für Antje Smollich ist es wesentlich, daß der Arbeitsprozeß als Bestandteil des Werkes transparent und nachvollziehbar bleibt. Das Prozeßhafte, das Werden der Form kann mitvollzogen und weitergedacht werden. Der Entstehungsprozeß selbst wird zum Thema. Jedoch offenbaren sich die Objekte dem Betrachter nicht lückenlos, der Rezipient gerät in einen Grenzbereich zwischen Klarheit und Vermutung. Erkennbar ist, daß Farbe hin- und hergeschoben wird und Kreisbewegungen stattfinden. Unklar bleibt, wie die einzelnen Segmentierungen zustande kommen. So kann das Enstehen einer Form nicht in Totalität, sondern nur bis zu einem gewissen Grad zurückverfolgt werden. Geheimnisse bleiben. Dem Betrachter zeigt sich immer nur ein fragmentarischer Ausschnitt. In ihren vielfältigen Erscheinungsformen entziehen sich die Arbeiten einem eindeutigen Zugriff - die Spannung zwischen der Partikularität und dem Ganzen bleibt erhalten. Ihre Kunst ist keine für den schnellen Konsum und widerspricht dem Zeitgeist, der Kunst zu einer Art Erlebniskultur werden läßt. Antje Smollich verzichtet auf vordergründige Signalwirkungen und schrille Töne, ihre Kunst ist eine der feinen Zwischentöne, deren Wahrnehmung sich auf unterschiedlichen Ebenen vollzieht. Die Arbeiten können auch als Metaphern angesehen werden für das, was Malerei sein kann : konkrete Materie wie Transportmittel für transzendente Substanz.