Das verflixte Bild
Von Claudia Posca 

Ein Bild ist ein Bild, weil Farbe drauf und ein Rahmen drumrum ist. So jedenfalls sieht es ein konventionelles Bildverständnis, gefragt danach, was ein Bild ausmacht. Und zweifellos hat diese Sicht mit den Tänzerinnen von Edgar Degas keine Probleme. Auch Cézannes Ansichten der Montagne Sainte -Victoire werden als Bilder sui generis erscheinen. Picassos kubistische Stilleben? Sicher, auch das Bilder. Frank Stellas geformte Leinwände der 60er Jahre? Da scheint Vorsicht geboten, handelt es sich doch um nicht mehr vergleichbare Tafelbilder, was weniger zu Lasten des vermißten, figürlichen Motivs geht, für das immerhin intensive Farbfelder argumentieren, wohl aber mit dem Stolperstein eines ungewöhnlich geformten Bildfeldes zusammenhängt: wider konventionelle Rahmung und ein quadratisches oder rechteckiges Format. Buchstäblich exzentrisch sehen shaped canvas-Bilder aus, eine Folge, die sich aus der nicht mehr auf einen harmonischen Zusammenklang des Bildganzen hin konzentrierten Bildkomposition ergibt. Eine ausponderierte Balance der beteiligten Binnenformen wird gar nicht erst angestrebt. Stattdessen folgt die äußere Gestalt der Anordnung der inneren Elemente, so daß der Umriß eine Folge dessen ist, was auf dem Bildfeld passiert. Dementsprechend hat das Format als normative Vorgegebenheit des traditionellen Bildes seine Funktion verloren.
Die Folge ist eine Provokation der Bild- genauso wie der Sehgewohnheit, letztlich gipfelnd im Abschied vom konventionellen Bildverständnis traditioneller Tafelbildmalerei.
Damit ist eine Fährte gelegt zu den Arbeiten Antje Smollichs, die ihrerseits, und im Einklang mit einem Großteil zeitgenössischer Kunst, den spätestens seit Marcel Duchamp virulenten Ausstieg aus dem Bild und seiner etablierten Flächenhaftigkeit für sich aktualisiert: zugunsten einer Bildform zwischen Objektkunst, Relief und Malerei jenseits hierarchisch orientierter Komposition und gerahmter Präsentation. Stattdessen praktiziert Antje Smollich eine konsequente Neusicht des Tafelbildes durch Verkehrung seiner Konvention. Zu diesem Zweck werden bis zu elf Kilogramm schwere, farbige Acrylglasplatten über einer Sperrholzplatte verschoben. Die daraus resultierenden Überstände ignorieren als bildnerische Grenzüberschreitungen das traditionelle Bildformat. Ein regelmäßiger Bildumriß findet sich irritiert, darin shaped canvas-Bildern ähnlich. Gleichzeitig dynamisieren die Überlappungen - durch Lichteinfall zu unterschiedlicher Farbqualität individualisiert - den umgebenden Realraum, indem sie grenzüberschreitend in diesen eingreifen: Das an der Wand fixierte Bild gerät zum buchstäblich ausufernden Gegenüber des Betrachters, fordert eine Wahrnehmung ein, die zwischen Faktizität und Optizität unterscheidet. Denn allererst durch die räumliche Dimension hinter den Acrylglasüberständen, durch die der Realraum zum Mitspieler der Bildfläche wird, gewinnt das angeschliffene, nur verhalten transparente Acrylglas eine optische Raumtiefe. Sehr im Unterschied zu seiner Flächenhaftigkeit. Eine visuelle Verräumlichung der Fläche setzt ein, ist nicht allein Resultat der Übereinanderschichtung von Acrylglas- und Sperrholzplatte, sondern in gleichem Maße über den Dialog von realer Fläche und realem Raum erzeugt. Unübersehbar dabei ein zwiespältiger Werkcharakter im Spannungsspektrum von Fläche und Raum. Doch verbietet eine Oszillation dazwischen die Rede vom Bild?
Im Falle Antje Smollichs wohl kaum, ist doch in ihren Arbeiten die faktische Flächenhaftigkeit und die optische Bildtiefe untrennbar mit Malerei verbunden, wenngleich wiederum mit einer solchen der Verkehrung: Statt einer gesetzten Komposition bzw. anstelle eines vom Künstler tatsächlich gemalten Bildes, läßt sie das Malen gewissermaßen vom Material ausführen, unter Zuhilfenahme des Zufalls. Dazu ist chemisch manipulierte, mit Binder versetzte weiße Acrylfarbe vonnöten, die in bestimmter Quantität direkt und am genauen Ort auf die ebenerdig liegende Sperrholzplatte geschüttet wird. In sie hinein kommt zunächst deckungsgleich mit der Sperrholzplatte das Acrylglas zu liegen, um es im nächsten Schritt gemäß der konzeptuellen Vorstellung und unter Einsatz aller Körperkräfte entweder nach oben oder unten bzw. diagonal oder gedreht zu verschieben. Einmal am richtigen Ort, fixieren dann starke Zwingen unter Druck die Acrylglasplatte - oft wochenlang. Erst danach ist gewährleistet, daß das Acrylglas, auch in senkrecher Position an der Wand hängend, trotz des immensen Eigengewichtes und der Erdanziehungskraft, nicht von der Sperrholzplatte abrutscht. Auskunft über diesen risikoreichen, weil kaum korrigierbaren Entstehungsprozess gibt jede Arbeit selbst. Denn die am Ende entstandenen Quetsch- und Verlaufsspuren des gleichermaßen als Farbe wie Kleber funktionierenden Acrylbinders informieren über die Entwicklungsgeschichte des Bildes, sind konservierte Fährten einer als Archälogie erscheinenden Bildlichkeit: Wo hellere Partien der gepreßten Farbbinder-Materie zu verzeichnen sind, läßt sich schlußfolgern, daß das Acrylglas an dieser Stelle unmittelbar auf der Farbe haftet, während dort, wo dunklere Zonen erkennbar sind, keine direkte Haftung aufgrund eines entstandenen Vakuums zwischen Acrylglas und Binderfarbe zustande kommen konnte. Beides nuanciert und verändert zusammen mit dem Lichteinfall in unterschiedlichster Intensität jenen Farbton, den die Acrylglasplatte als industriell hergestelltes Gebrauchsprodukt von sich aus 
mitbringt. Wie beiläufig entsteht so, ohne Pinsel oder Quast, eine anonym-ungegenständliche Malerei, die im Sinne konkreter Kunst auf Grundbedingungen von Bild und Malerei reflektiert: unmittelbar, indem der Acrylbinder als physikalischer Träger der farbigen Acrylglasplatte auffällt, mittelbar und im Verbund mit dem wie Firnis oder Lasur funktionierenden Acrylglas dagegen als Reflektor des Lichtes und der Farbigkeit erscheint. Eine solche Reflexion von Malerei aber, im Dialog mit einer Verkehrung eingeschworener Bildkonventionen, läßt eine Identitätskrise des Tafelbildes aufblitzen. Mit ihr argumentiert Antje Smollich gegen eine traditionelle Malerei für ein Bild, das, selbst wenn es ohne Pinsel und Rahmen im heterogen-plastischen Materialkleid daherkommt, dennoch und vor allem Bild ist. Widerständig im Charakter, der Provokation nicht abgeneigt und der Irritation verbunden. Zweifellos ein herausforderndes, ein verflixtes Bild.