Fragmente
Von Claudia Böer

Ein erster flüchtiger Blick auf die neuen Arbeiten von Antje Smollich mag den Eindruck vermitteln, aus der Malerin sei inzwischen eine Objektkünstlerin geworden, denn auf Anhieb scheinen die Gebilde aus industriellen Materialien wie Polyester und Plexiglas gar nichts mit Bildern zu tun haben zu wollen. Doch der erste Anschein einer nur kühlen Objekthaftigkeit erweist sich schnell als eine Art Schutzschild gegen flüchtige Voyeure, hinter dem sich ein - bei den rechteckigen Polyesterarbeiten ganz wörtlich zu nehmen - vielschichtiger Prozess auftut. Und zumindest ahnbar ist auch bald, worauf diese sich gegenseitig durchdringenden Schichten basieren: auf einem malerischen Gestus, der eine Auseinandersetzung mit ganz “unmalerischer" Materialität durchlaufen hat und schließlich aus dem (Bild-)Inneren heraus frei in den Raum hineinreicht, ohne von einem Rahmen aufgehalten zu werden. Unmittelbar augenfällig ist bei den Arbeiten, bei denen sich Antje Smollich vom traditionellen Trägerformat gelöst hat, neben dem Verzicht auf einen das Bildinnere zusammenhaltenden Rahmen das Fehlen eines erkennbaren Hintergrundes. Die Arbeiten sind so zuzusagen grund-los direkt in den Raum gestellt. Zudem verstellt die Anwendung eines so kruden Materials wie Polyester spielerisch, doch keineswegs verspielt, erst einmal den Blick auf die malerische Grundkomponente. Antje Smollich legt ihre Arbeiten so an, dass der Betrachter die einzelnen Bewegungen in der dynamischen Gesamtharmonie teils rational, teils emotional zu ent-decken vermag und so den Entstehungsprozess der Arbeiten nachvollziehen kann. Das kann bei den geschichteten, verschobenen Polyesterscheiben eine Art Zoomeffekt in gegenläufige Richtungen zur Folge haben, als werde das Auge erst einmal immer weiter in die einzelnen Schichten hineingeholt, die Arbeit gleichsam demontierend, um dann umgekehrt den Entstehungsprozess mit vollziehen zu können. Dabei ist nicht unbedingt auszumachen, ob sich die Kehrtwendung der Blickrichtung auf der untersten Platte vollzieht, denn eine definierte Basis haben diese Arbeiten ebensowenig wie ein zwingendes Endstück. Nachvollziehbar wird indes, wie die Künstlerin in einem bestimmten Gestus den Acrylbinder auf eine Platte aufträgt, eine weitere Scheibe auflegt, um diese - gegen den Widerstand des Binders - zu verschieben. Die Bewegungen des Farbauftrags und die des Verschiebens erstarren schließlich in dem erhärteten Material, bleiben aber erkennbar. Schicht um Schicht fährt sie so fort, weiches und hartes Material erst gegen, dann miteinander arbeiten lassend. Dabei entwickelt sich nach und nach aus dem wachsenden Inneren dieser Schichtungen eine Außenkontur, die in eine bestimmte Richtung weist und der gesamten Arbeit gleichsam einen Drive gibt. Bei den rechteckigen Plattenarbeiten ist dies meist eine Vertikal- oder Horizontalbewegung, bei den Kreissegmenten eine Rotation. Da aber die Anzahl der Schichtungen nicht eigentlich festgelegt ist, weder aus sich heraus noch durch einen umgrenzenden Rahmen, sind diese Bewegungen in der Vorstellung verlängerbar zu raumgreifenden Horizontalen oder Vertikalen oder zu vollständigen Kreisen. Noch etwas anderes macht die reizvolle Offenheit der Arbeiten von Antje Smollich aus: Sie führt in diesem Spiel zwar Regie, überläßt einiges aber den beteiligten Materialien. So beeinflußt sie beispielsweise den Acrylbinder nicht darin, wo und wie dick er unter den Scheiben hervorquillt und Wülste wie aus erstarrter Lava bildet, und sie manipuliert es nicht, wo und wie die Polyesterscheiben in sich brechen und reißen, so dass sie feine Muster wie Spinnweben und Eiskristalle in sich tragen. Durchaus gewollt treten indes diese selbstbestimmten Komponenten in eine lebendige Spannung zueinander: die transparenten, fragilen Platten kontrastieren zu den erstarrten Austritten der zähen Farbe und lassen dabei noch den enormen Druck erahnen, der beim Zusammenpressen der Platten notwendig ist - ein Kraftaufwand, den die Künstlerin nur bei den kleineren Arbeiten allein leisten kann, während sie bei den größeren Formaten mit jemand zusammenarbeiten muss. Schraubzwingen pressen die Schichten während des Trocknungsprozesses zusammen und hinterlassen Flecken auf den Platten wie dunkle Male von Gewalt auf heller Haut.
Antje Smollich komponiert ihre Arbeiten nicht; sie lässt vielmehr eine ganze Reihe von Kontrastpaaren in einem sich wechselseitig durchdringenden Ganzen zusammenklingen. Dem Aufwand an Druck und Kraft steht die Gesamtwirkung der Leichtigkeit gegenüber, der Leblosigkeit des industriellen Materials die Sinnlichkeit der Farbschichten, dem Prinzip des Schichtens die doch beibehaltenen Transparenz, der Bewegung die Erstarrung, der objekthaften Raumwirkung der malerische Aufbau. Zu eben diesem Malerischen gehört es auch, dass sie Kraft ihres Farbauftrags einen überraschenden Reichtum an Farbnuancen findet, obwohl sie nur von den grünen und gelben Scheiben und der weißlichen Farbe ausgeht. Die Platten, die eigentlich gefertigt werden für Balkonverkleidungen und ähnliches, können durch Schleifungen unterschiedliche Grade an Opazität erhalten; der Acrylbinder ist, dünn aufgetragen, transparent und wird bei dickerem Auftrag weiß. Hieraus schafft Antje Smollich ihre Malerei, verstanden als Form, die aus Bewegung entsteht. In eben dieser Formwerdung von Bewegung ist für die Künstlerin die Farbe das entscheidende Bindeglied. Dem aufzuspüren ist eine reizvolle Sehreise.